Generalversammlung im Mini-Format
Die Hypothekarbank Lenzburg führte die 151. Generalversammlung im Rekordtempo durch. Aktionärinnen und Aktionäre waren physisch nicht präsent.
15. Mai 2020
Nach 16 Minuten waren alle Geschäfte besiegelt. So schnell ging es noch nie. Aber Gerhart Hanhart, der Verwaltungsratspräsident der Hypothekarbank Lenzburg, hatte eigentlich gar keine Eile. Im Gegenteil. Die Ruhe in Person hatte er alle Beteiligten der 151. Generalversammlung der Lenzburger Bank gebührend eingeführt und auch allen anderen formaljuristischen Aspekten, die zu diesem jährlich wiederkehrenden Zeremoniell gehören, den schuldigen Respekt gezollt.
Insgesamt liess der Bankpräsident an diesem vom bundesrätlichen Versammlungsverbot zum Mini-Event herabgesetzten Aktionärstreffen die gleiche juristische Akkuratesse walten wie bei Aktionärsversammlungen in den Vorjahren. Mit dem Unterschied, dass statt über 1000 Menschen ihm jetzt nur 4 Köpfe gegenübersassen und drei Teilnehmer am Telefon zuhörten.
Die Abstimmungsresultate, tabellarisch auf einem A4-Blatt zusammengetragen, nahm man summarisch zur Kenntnis. Der Präsident gratulierte am Schluss dem neugewählten Mitglied des Verwaltungsrates, Andreas Kunzmann. Immerhin habe er ihn mit seinem Wahlresultat knapp geschlagen, witzelte der Präsident. Der VR-Novize nahm die Bemerkung gelassen hin. Er wusste, dass der Vorsprung des Präsidenten im Bereich der ersten Nachkommastelle lag und damit eigentlich unbedeutend war. 95,31 Prozent zu 95,89 Prozent, so das Abschneiden der beiden im direkten Vergleich.
Aktionärsvotum sorgt für GV-Feeling
Dann sagte der Präsident: «Damit erkläre ich die 151. Generalversammlung der Hypothekarbank Lenzburg für beendet.» Die Uhr zeigte 9 Uhr und 12 Minuten. Es wäre Schluss gewesen, hätte nicht die Stimmrechtsvertreterin Yvonne Saxer Bohnenblust das Wort ergriffen. Die Notarin hatte einen guten Grund dafür. Sie fühle sich verpflichtet, hier noch die Bemerkung eines Aktionärs vorzubringen, die sie zusammen mit den Stimmen der übrigen 2698 Aktionärinnen und Aktionäre erhalten habe.
Damit kam an dieser Generalversammlung ohne die physische Anwesenheit der Aktionärinnen und Aktionäre – von der Presse in Anlehnung an Fussballspiele vor leeren Rängen als «Geister-GV» bezeichnet – doch noch kurz so etwas wie ein GV-Feeling auf. PricewaterhouseCoopers prüfe nun schon seit 1995 die Bücher der Hypothekarbank Lenzburg, zitierte die Stimmrechtsvertreterin den abwesenden Aktionär. Da stelle sich die Frage, ob die Unabhängigkeit noch gegeben sei. In der Europäischen Union sei es Usus, alle zehn Jahre die Revisionsgesellschaft zu wechseln. Der Aktionär beantrage deshalb, dass der Verwaltungsrat die Sache prüfe.
Man habe dies schon vor zwei Jahren diskutiert, antwortete Präsident Hanhart der Stellvertretung des Aktionärs. Das Rotationsprinzip sei gewährleistet, weil die verantwortlichen Personen bei der Prüfgesellschaft alle sieben Jahre wechselten. Die Unabhängigkeit sei somit auf Stufe der Prüfpersonen gegeben. Zudem hätten beim Traktandum «Wiederwahl der Revisionsstelle» 95 Prozent der Aktionärinnen und Aktionäre PricewaterhouseCoopers das Vertrauen ausgesprochen. Deshalb erachte der Verwaltungsrat einen Wechsel der Revisionsgesellschaft nicht für angebracht.
Menschenströme in Lenzburg
Weitere Anträge lagen der Stimmrechtsvertreterin nicht vor. Damit konnte der Präsident die 151. Generalversammlung der Hypothekarbank beim zweiten Anlauf definitiv für beendet erklären. Es war 9 Uhr und 16 Minuten. Eine Minute später beendet der Finanz- und Risikochef der Hypothekarbank Lenzburg, Rolf Bohnenblust, die Telefonkonferenz mit den extern zugeschalteten Gästen. Dazu gehörten Bruno Gmür, Revisor bei PricewaterhouseCoopers, Thomas Wietlisbach, der Vize von Hanhart, und Marc Hemmeler, der fürs Protokoll zuständige Bankmitarbeiter.
Ganz zum Schluss meinte der Präsident, dass man im kommenden Jahr das Aktionärstreffen hoffentlich wieder im gewohnten Rahmen durchführen könne. Non-Habitués müssen wissen, dass die GV der «Hypi», wie die Bewohnerinnen und Bewohner von Lenzburg ihre Bank liebevoll nennen, neben dem Jugendfest wahrscheinlich der zweitwichtigste gesellschaftliche Anlass der Stadt ist.
Über 1000 Aktionärinnen und Aktionäre pilgern jeweils am dritten Samstagnachmittag im März in die Mehrzweckhalle und später in eines der Restaurants der Stadt, wo sich das Bankmanagement mit den Bankeigentümerinnen und -eigentümern zum Essen trifft und den direkten Austausch pflegt. Sogar die Polizei muss jeweils aufgeboten werden, damit es wegen der Menschenströme auf den Autostrassen in Lenzburg nicht zum Chaos kommt.
Beste Public Relations
Der Präsident weiss nur zu gut, dass dieser Event für die Bank beste Public Relations ermöglicht. Und er hat in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. «Es würde schmerzen, wenn der Anlass in dieser Form nicht mehr durchführbar wäre», sagt Hanhart. Aber ein Mann in seiner Position muss mit allen Eventualitäten rechnen. Das Coronavirus könne dazu führen, dass 2019 vielleicht wirklich das letzte Mal eine Generalversammlung mit physischer Durchführung stattgefunden habe. Aus arbeitsökonomischen Gründen könnte ihm das eigentlich recht sein. Sein Aufwand für die «Geister-GV» habe nicht einmal 10 Prozent von demjenigen für eine ordentliche Generalversammlung mit physischer Präsenz des Aktionariats betragen.
Zudem hätten 50 Prozent mehr Aktionärinnen und Aktionäre von ihren Stimmrechten Gebrauch gemacht. Das freute am meisten den Marketingchef der Bank. Über die Gründe können auch die Bankverantwortlichen nur spekulieren. «Es gibt wahrscheinlich auch viele Aktionärinnen und Aktionäre, die keine grosse Freude an einem Volksauflauf haben, und nicht so begeistert sind über die Aussicht, an einem Samstagnachmittag zwei Stunden in einer dunklen Halle zu verbringen», sagt Hanhart. In diesem Jahr waren viele Leute wegen der Pandemie gezwungen, zuhause zu bleiben und im Home-Office zu arbeiten. «Viele haben unsere GV-Unterlagen vielleicht zum ersten Mal richtig gelesen», lacht der Präsident und dreht sich Marianne Wildi, CEO der Bank, zu, um auch mit ihr diese wahrscheinlich aussergewöhnlichste Generalversammlung der 1868 gegründeten Bank zu besprechen.
Für die Geschichtsbücher
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz der Hypothekarbank Lenzburg zu sein: Der inoffizielle Teil Generalversammlung dauert immer ein Mehrfaches des offiziellen Teils. An diesem Mittwoch hörte man Hanhart auch um 10 Uhr 33 noch im Konferenzraum am Hauptsitz der Hypothekarbank Lenzburg telefonieren. Aber auch 77 Minuten sind für die Nachbearbeitung dieser «Geister-GV» viel zu kurz. Viele Fragen stehen im Raum.
Ob es wohl 2021 zu einer Neuauflage kommen wird? Oder wird nun die Revision des Aktienrechts und die darin vorgesehene Möglichkeit einer ordentlichen Generalversammlung ohne die physische Präsenz der Aktionärinnen und Aktionäre im Eiltempo durch die Instanzen und das Parlament gejagt und verabschiedet? Wird am Ende das Coronavirus der physischen Generalversammlung gar den Garaus machen?
Wie auch immer: Die 151. Generalversammlung wird so oder so in die Geschichte der Hypothekarbank Lenzburg eingehen.
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Medienmitteilung vom 13. Mai 2020
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