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«Money-Mule-Fälle haben deutlich zugenommen»

Wer sich von Finanzbetrügern einspannen lässt, macht sich strafbar, sagt Cybercrime-Spezialist Bernhard Droz von der Kantonspolizei Aargau im Interview.

19. August 2021

Bernhard Droz Cybercrime Kantonspolizei Aargau

«Die Gelder fliessen oft nach Russland, in den Nahen Osten oder nach Westafrika», sagt Bernhard Droz, Cybercrime-Ermittler bei der Kantonspolizei Aargau. (Bild mfy)

Frage: Herr Droz, als Bank weisen wir unsere Kundschaft immer wieder auf die Möglichkeit von Internetbetrügereien hin. Derzeit scheint das Phänomen sogenannter Money Mules eine gewisse Popularität im Netz zu geniessen. Um was handelt es sich dabei?

Bernhard Droz: Money Mules kann man auf Deutsch mit Geldesel übersetzen. Gemeint sind damit Bankkundinnen oder -kunden, die ihr Konto – wissentlich oder unwissentlich – Betrügern zur Verfügung stellen, damit diese Gelder krimineller Herkunft ins Geldsystem einschleusen können. Money-Mule-Fälle erfüllen damit den Tatbestand der Geldwäscherei.

Sie sagen wissentlich oder unwissentlich?

Als Ermittler beobachten wir, dass Money Mules vielfach aus einer Notlage heraus agieren, zum Beispiel weil sie arbeitslos oder in Geldnot sind. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie sich strafbar machen, wenn sie sich am betrügerischen System beteiligen.

Wie muss man sich denn eine solche Beteiligung vorstellen?

In der Regel melden sich die Money Mules auf Stelleninserate hin, in denen Betrüger lukrative Nebenverdienste in Aussicht stellen. In den meisten Fällen werden Account Manager im Immobilienbereich gesucht. Man erhält einen Arbeitsvertrag von einer Immobilienfirma. Die Immobilienfirma überweist den Money Mules Geld auf deren private Konten, das diese dann gegen eine Provision auf das Konto der Betrüger weiterleiten. Oder es wird in den Inseraten vorgetäuscht, dass man neue Banksoftware zu testen habe. In Wahrheit geht es aber darum, den Betrügern ein Bankkonto zur Verfügung zu stellen.

Wie zur Verfügung stellen?

Im Rahmen der fingierten Arbeitsverhältnisse geben Money Mules Kontonummer oder IBAN-Nummer an die Betrüger weiter oder sie werden aufgefordert, mit ihrem eigenen Konto Überweisungen an Konten zu leisten, deren wirtschaftlich Berechtigte die Betrüger sind. Manchmal werden Money Mules auch angewiesen, Gelder, die auf ihre Konten eingehen, in bar abzuheben, in Couverts zu stecken und per Post ins Ausland an die Adresse der Betrüger zu schicken.

«Wer sich aber auf diese Deals einlässt, verliert oft seinen ganzen Kaufbetrag.»

Bernhard Droz, Dienstchef IT-Forensik & Cybercrime Kriminalpolizei Kanton Aargau

Sie sagen Ausland. Gibt es Länder, die auffallend oft involviert sind?

Ja. Wir beobachten, dass Gelder oft nach Russland, in den Nahen Osten oder nach Benin in Westafrika fliessen.

Woher stammen die Gelder denn ursprünglich?

In jüngster Zeit beobachten wir oft, dass die Betrüger auf gängigen Online-Auktionsplattformen Scheinangebote platzieren und dabei die Kontonummern der Money Mules verwenden. Die ahnungslosen Käufer überweisen den Kaufbetrag auf das Money-Mule-Konto und das Geld geht von dort an die Betrüger weiter.

Wie kann man solche Angebote erkennen?

Es handelt sich oft um vermeintliche Sonderangebote. Zum Beispiel für Luxusartikel und Elektronik bis hin zu Autos. Im regulären Handel kosten sie meistens viel mehr als in den betrügerischen Angeboten auf den Plattformen. Wer sich aber auf diese Deals einlässt, verliert oft seinen ganzen Kaufbetrag. Die Alarmglocken sollten spätestens dann läuten, wenn man merkt, dass die Person des Verkäufers nicht mit der Person übereinstimmt, an die man den Verkaufsbetrag zu überweisen hat. Da betrügerische Absichten hinter solchen Angeboten stecken, sind sie kriminell und fördern einzig den Tatbestand der Geldwäscherei. Oft knüpft sich daran aber auch noch der Tatbestand des Identitätsdiebstahls oder Identity Theft.

Des Identitätsdiebstahls?

Die Betrüger nutzen dabei die Identität des Money Mules auch für das von ihnen benutzte Konto auf der Online-Auktionsplattform. Für Kaufinteressierte wird es in diesem Fall schwieriger, die betrügerische Absicht zu erkennen.

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Wie gross ist der Schaden, den Money Mules in der Schweiz anrichten?

Man muss relativieren. Im Vergleich zu Hackerangriffen gegen Unternehmen sind Money-Mule-Fälle weniger schlimm. Der Schaden von Malware- und anderen Virusattacken auf Firmen ist um ein Vielfaches grösser. Im Bereich der Geldwäscherei sind Money-Mule-Fälle aber durchaus relevant. Von 3000 Geldwäschereifällen in der Schweiz im Jahr 2020 betrafen 1700 Money Mules, so die offiziellen Zahlen. Und die Anzahl Money-Mule-Fälle hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Waren es vor zwei Jahren noch rund 50 Fälle pro Monat, sind es heute bereits rund 100 Fälle pro Monat. Der damit angerichtete Schaden belief sich 2020 im Kanton Aargau auf 1,3 Millionen Franken. Entsprechende Zahlen für die ganze Schweiz liegen derzeit nicht vor.

Gibt es bestimmte Banken, die beliebte Ziele von Money-Mule-Attacken sind?

Privatbanken sind kaum je involviert. Es handelt sich meistens um Retailbanken mit einem breiten Privatkundengeschäft. Ich kann aber nicht sagen, dass Regionalbanken stärker betroffen wären als Kantonalbanken oder Grossbanken.

Kann man sagen, dass besonders oft Online-Konten involviert sind?

Es kommt schon vor, dass vermeintliche Testpersonen von den Betrügern aufgefordert werden, online ein Konto zu eröffnen und die Daten anschliessend an die Betrüger weiterzugeben. Meistens aber werden schon bestehende Bankverbindungen genutzt.

«Es können Geldstrafen oder Gefängnisstrafen ausgesprochen werden.»

Bernhard Droz, Cybercrime-Ermittler Kriminalpolizei Kanton Aargau

Wie kann man sich vor einer Strafe schützen, wenn man den Verdacht hat, dass man als Money Mule instrumentalisiert worden ist?

Man sollte den Fall unbedingt bei der Polizei anzeigen. Und, wenn möglich, einen verdächtigen Geldeingang auf seinem Konto dem Absender zurücküberweisen. So macht man sich nicht der Geldwäscherei schuldig.

Welche Strafe drohen Money Mules?

Es können Geldstrafen oder Gefängnisstrafen ausgesprochen werden. Das konkrete Strafmass kann ich nicht nennen. Welche Strafe ausgesprochen wird, hängt auch davon ab, ob und wie man mit den Behörden kooperiert hat respektive, ob man den Fall selbst angezeigt hat oder nicht. Wird ein Fall bekannt, auch wenn der Money Mule ihn nicht angezeigt hat, müssen die Straf- und Untersuchungsbehörden aktiv werden, da es sich bei Geldwäscherei um ein Offizialdelikt handelt.

Was können Banken gegen Money-Mules machen?

Für Banken ist es kaum möglich, schon bei einer Kontoeröffnung betrügerische Absichten zu erkennen. Umso wichtiger ist die kommunikative Präventionsarbeit, wo es auf Seiten der Banken aber vielfach noch Verbesserungspotenzial gibt. Zudem sind verschiedene Watchlists und Systeme im Umlauf, die Banken nutzen können. Die Schweizerische Bankiervereinigung etwa publiziert unter dem Namen «E-Alarm» regelmässige Meldungen mit Namen und Konten, die in Betrugsfälle involviert sind. Es muss das Ziel sein, den betrügerischen Geldfluss zu stoppen und zu verhindern, dass die Kriminellen abkassieren.

Ist es eine Illusion, davon auszugehen, dass es Money Mules einmal nicht mehr geben wird?

Betrüger suchen immer einfache Lösungen. Wird ein Betrugssystem zu aufwändig, lohnt es sich nicht mehr. Insofern könnte es schon sein, dass das Money-Mule-System wegen den oben erwähnten Initiativen plötzlich nicht mehr lukrativ genug sein wird.

Online-Betrug

Mehr zum Thema im Online-Artikel des «Beobachters» (bezahlpflichtig).

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Ein Koch mit Flair für digitale Spuren

Bernhard Droz ist Dienstchef IT-Forensik & Cybercrime bei der Kantonspolizei des Kantons Aargau. Der gelernte Koch verfügt über mehrjährige Ermittlererfahrung im Bereich Cybercrime und Darknet. Zudem ist Droz Dozent am Schweizerischen Polizeiinstitut (SPI) und an der Hochschule Luzern. Er lebt in Niederlenz, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

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Die Hypothekarbank Lenzburg nutzt für die Bekämpfung der Internetkriminalität den im Interview erwähnten «E-Alarm» der Schweizerischen Bankiervereinigung. Zudem haben die Informatikspezialisten der Finstar-Abteilung ein eigenes System entwickelt, das mittels maschinellen Lernens verdächtige Transaktionsmuster entdeckt und meldet. Daneben hat die Hypothekarbank Lenzburg im Rahmen eines Pilotprojektes seit kurzem die Plattform von Cybera im Einsatz, welche die Bank und ihre Kunden ebenfalls vor finanziell motivierter Cyberkriminalität schützt. Cybera arbeitet mit Polizeibehörden, Pilot-Banken und anderen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen im Cybersecurity-Bereich international zusammen. Die Software-Entwicklung für den Pilotbetrieb hat die von der Hypothekarbank Lenzburg und der Berner Kantonalbank gegründete  Innofactory AG massgeblich unterstützt.

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